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Prof. Dr. Walter van Laack

 

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Nahtoderfahrungen im Spiegel jüngerer experimenteller Studien

© von Prof. Dr. med. Walter van Laack

(Beitrag für das Netzwerk Nahtoderafhrung, 2015)

 

Seit gut 40 Jahren wird systematisch zu Nahtoderfahrungen (NTE) geforscht. Ein paar experimen-tellen Studien der jüngeren Zeit möchte ich mich in diesem Beitrag widmen und kurz kommentieren.
Bis heute praktisch alle medialen Artikel zu NTE immer noch nachhaltig prägend ist eine Veröffentlichung des Schweizer Neurologen Olaf Blanke. In der Zeitschrift Nature platzierte er 2002 eine Fallstudie, in der er behauptete, man könne durch Elektrostimulation des Gehirns Out-of-Body-Experiences (OBE) provozieren (1).

Blanke berichtete von einer Patientin, die sich unscharf von oben sah, jedoch nur den unteren Teil ihres Rumpfes und die Beine. Auch sprach sie von visuellen Verzerrungen: So seien ihre Beine kürzer geworden und hätten sich auf ihr Gesicht zu bewegt.
Nahtoderfahrene (NTEler) mit OBE dürften sich in einer solchen Schilderung kaum wiederfinden. Tatsächlich empfindet sich der NTEler während seiner Erfahrung zumeist als voll orientiert und mit klarerem Denken als sonst üblich (80%)(2). Auch werden Dinge und Personen der „zurückgelassenen Welt“ stets als authentisches Ganzes gesehen und niemals bloß verzerrt und in Teilen.


Zwischen 2009 und 2013 fanden mehrere Studien mit Messungen von Hirnstromkurven (Elektroenzephalographie, EEG) statt. 2009 hatte eine Gruppe Wissenschaftler in den USA an sieben sterbenden Patienten festgestellt, dass ihre Hirnaktivität kurz vor ihrem Tod deutlich, aber zugleich sehr kurz, anstieg (3).  Man interpretierte dies wie folgt: „Alle Neuronen im Gehirn sind miteinander verbunden. Erhalten sie keinen Sauerstoff mehr, so verlieren sie ihre Fähigkeit, Ströme zu erzeugen. Stoppt die Durchblutung, dann geben alle Neuronen nahezu zur gleichen Zeit nochmals verstärkt Signale ab, und es entsteht eine Art Domino-Effekt. Dieser könnte die vermehrte Hirnaktivität erklären.“


Im Jahr 2013 veröffentlichte die Forschergruppe um Borjigin (USA), man habe an neun Ratten nach ihrem experimentell induzierten Tod plötzlich einsetzende Hirnaktivitäten feststellen können (4).  Von den Versuchsratten wurden 90 Minuten lang EEGs aufgezeichnet, zunächst im Wachzustand, dann unter Narkose (insgesamt 60 Minuten) und schließlich noch eine Zeit nach ihrem Herz-stillstand (30 Minuten), sowohl über der Stirn, dem Scheitel, als auch am Hinterkopf und jeweils beidseitig. Nach dem Herzstillstand kam es wie erwartet zu einem plötzlichen Abfall der gemessenen Hirnströme auf Null.
Bei näherer Betrachtung fiel jedoch auf, dass es etwa 10 Sekunden nach dem Herzstillstand für etwa 20 Sekunden plötzlich zu einem unerwarteten Schwall von Hirnaktivitäten im niedrigfrequenten Deltabereich kam. Darüber hinaus waren diese Hirnströme unter allen Elektroden gleichzeitig feststellbar und absolut kohärent. Der Wellenverlauf der Stromkurven war also präzise koordiniert und entsprach den Aktivitäten, die ein Gehirn im Wachbewusstsein bei höchster Konzentration aufweist, worauf die Autoren selbst explizit hinweisen. Sie betonen in ihrem Beitrag deshalb auch die Ähnlichkeit mit der „großen Klarheit und einer ‚realer als realen’ Geisteserfahrung, die von Nahtoderfahrenen berichtet werden“.


Obwohl es sich um Untersuchungen an Ratten handelt, extrapolierte man auf das Phänomen der Nahtoderfahrung beim Menschen und nahm an, diese Aktivitäten seien eine Erklärung für ihr Auftreten. Evolutionsbiologen deuten sie sogar als eine Art physiologisches Abschiedsgeschenk der Natur an den Sterbenden. Die Ergebnisse bedürfen wohl einer subtileren Nachbetrachtung:


1) Das „Leuchten“ oder „Blinken“ einzelner Bereiche des Gehirns im Kernspin ist zwar immer ein Hinweis darauf, dass dieser spezielle Hirnbereich gerade an einer Leistung mitbeteiligt ist. Daraus kann aber nicht sicher geschlossen werden, dass diese Leistung dort auch produziert wird. Zum anderen kann aus dem „physiologischen Leuchten“ noch nicht auf die Qualität dessen geschlossen werden, was der Inhalt für das jeweilige Wesen, Tier oder Mensch, bedeutet. Genausowenig kann aus dem Farbgehalt eines Bildes an irgendeiner Stelle auf das gesamte Bild oder gar auf seine Wirkung auf den jeweiligen Betrachter geschlossen werden.


2) Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass sich ähnliche Aktivitätsmuster in unmittelbarer Todesnähe, bzw. sogar kurz danach, nicht nur bei Ratten, sondern durchweg auch beim Menschen finden ließen: Wenn man sie mit NTE in Verbindung bringen möchte, sollte man sich doch auch fragen, welche Art Nahtoderfahrungen denn nun Ratten haben?


3) Wieso fallen im Gehirn erst alle elektrischen Aktivitäten aus, um dann kurz später plötzlich und in voller Breite koordiniert neu aufzuleuchten? Dazu sollte man schon mit einer besseren und umfassenderen Erklärung aufwarten, als es die Autoren, wie eingangs erwähnt, dann tun; denn es ist vergleichbar mit dem plötzlichen Nachthimmel über den städtischen Metropolen in Europa, obwohl kurz zuvor die Stromversorger ihre Energiequellen komplett abgeschaltet haben.


In zahlreichen Büchern (5) habe ich ausführlich diskutiert, dass die ganze Welt vermutlich aus „zwei realen, polarsymmetrischen Basiswelten“ besteht, die sich gegenseitig speisen und bedingen, wobei ein Teil der einen immer auch in der anderen enthalten ist, was sich im altchinesischen Yin- und Yang-Symbol so schön wiederfindet. Die eine ist das, was wir als „materielle Welt“ mit unseren Sinnen wahrnehmen. Die andere ist eine „informationelle Welt“, die wir zwar auch ständig erfahren, jedoch nicht sinnlich. Alles „Materielle“ ist aber nur die „Außenansicht“ des ihm innewohnenden „Informationellen“. So wie das Materielle zu immer größerer Komplexität reift und differenziert, so reift und differenziert auch das ihr innewohnende „Informationelle“ zu immer komplexeren „Clustern“. Ab einem be-stimmten „Reifungsgrad“ sprechen wir bei einem solchen „Informationscluster“ zum Beispiel von „Bewusstsein“. Wenn dem so ist, muss es aber auch zahlreiche „Schnittstellen“ zwischen diesen beiden Basiswelten – und zugleich Seiten derselben Medaille – geben.


Ich glaube, unser Gehirn ist eine von vielen solcher Schnittstellen: Hier kommt es ständig zu einer Transformation von Wahrnehmungen aus der Peripherie, wie z.B. Sinneserfahrungen, in den persönlichen Informationsraum. Dies nennen wir dann Bewusstseinserweiterung. Genauso kommt es umgekehrt zu einer Decodierung von Informationen zu elektrischen und später auch chemischen Gehirnengrammen. Letzteres scheint mir eine plausible Erklärung für diverse spezielle elektrische Aktivitätsmuster zu sein, die durch bestimmte Gedanken oder Weltbilder, zum Beispiel auch durch „Glauben“, „Meditation“, „Beten“ oder durch bestimmte „Hypnosetechniken“ immer wieder erzeugt und dann messtechnisch dargestellt und somit nachgewiesen werden können.
Auch der Tod ist eine solche Schnittstelle, bei der das Gehirn zunächst noch eine zentrale Bedeutung haben
muss. In Umkehrung der Decodierung von Informationen mit der Manifestation in dann speziellen elektrischen Hirnaktivitätsmustern könnte es hier zu einer Codierung von „materiellen“ Hirnengrammen und ihre anschließende Integration in den eigenen „komplexen Informationscluster“ – genannt „eigene Persönlichkeit“ – kommen.


Vergleichbar Ähnliches sehen wir beim sog. „Piezo-elektrischen Effekt“: Ein Quarz oder ein Kristall kann mechanische Energie in elektrischen Strom umwandeln, aber auch elektrischen Strom in mechanische Energie. Man sollte somit also gerade die im vorliegenden Fall nachgewiesenen, sehr kohärenten, koordinierten und über das ganze Gehirn so in ungewohnter Qualität verteilten, plötzlich auftretenden Ströme als ein womöglich biochemisch induziertes Backup begreifen, zum Beispiel ausgelöst durch Hormone der Zirbeldrüse des Gehirns (DMT?). Und dies muss dann naturgemäß für jedes lebende Wesen mit gelten, für Ratten genauso wie für den Menschen. Nur ist das „informationelle Qualitäts-niveau“ beim Menschen ein höheres; denn hier findet sich tatsächlich bereits höheres „Bewusstsein“ und „selbstbewusste Klarheit“ mit der Fähigkeit zu „abstraktem Denken und Assoziieren“.


Folglich eignen sich die Ergebnisse Borjigins und die anderer Forscher wohl eher dazu, das „geistige Überleben“ des Todes zu stützen, als die populäre materialistisch-reduktionistische Vorstellung, nach der der Tod das ultimative Ende darstellt und die NTE ein im Gehirn produziertes letztes Geschenk sei.


Ein ganz anderes Experiment will nahelegen zu glauben, unser „Ich“ und unsere „Persönlichkeit“ seien pure Illusionen, die uns das Gehirn ständig vorgaukelt. Neurowissenschaftler des Stockholmer Karolinska Instituts meinen, mit einem Experiment von 2015 nachweisen zu können, eine OBE sei ebenfalls ein reines Hirnprodukt, somit also eine besondere Halluzination (6). Natürlich werden dabei verbürgte OBE, bei denen Erfahrungen später verifiziert werden, ignoriert.

Dazu wurden 15 gesunde Probanden in einen Hirnscanner gelegt. Sie alle hatten einen Bildschirm fest am Kopf montiert. Über diesen sahen sie aber an einer Puppe herunter, die in der Nähe des Kernspingerätes auf einer Liege lag, so als schauten sie an sich herunter. Zugleich konnten sie sich im Hintergrund im Kernspin liegend sehen, allerdings nur den unteren Teil ihres Körpers. Man gaukelte ihnen also vor, sie selbst wären die liegende Puppe. Gleichzeitig wurden nun sowohl der echte Körper in der Röhre als auch die Puppe berührt und anschließend mit scharfen Instrumenten bedroht. Man stellte fest, dass die Probanden praktisch sofort der Illusion verfielen, die Puppe seien sie selbst, was nach Meinung der Forscher dem Gefühl einer OBE gleichzusetzen sei.

Im Hirnscan fanden sich dazu spezielle Aktivitätsmuster, die sich auch dann nicht änderten, wenn man mit der liegenden Puppe im Raum umherfuhr. Je nach Art und Tiefe der „Bedrohung des Dummies“ waren die Muster dieselben, so dass auch umgekehrt Rückschlüsse gezogen werden konnten.

Daraus schließen die Forscher, das Gehirn produziere in speziellen Bereichen die Illusion des „Ich“, und auch eine OBE sei demnach pure Illusion durch ein eigenständig agierendes Gehirn.

Für heutige Kirmesbesucher ist es sicher trivial, dass wir uns durch besondere Tricks, insbesondere wenn sie ungewohnt sind und von den bekannten Erfahrungs-mustern unseres Alltags fundamental abweichen – wie etwa auch in einem Flugsimulator – schnell täuschen lassen. Das hat einen evolutionären Hintergrund; denn zur Bewältigung unseres Lebens müssen wir vor allem Alltagssituationen erkennen und richtig einschätzen. Mal abgesehen von den seltenen Fata Morganas, kennen wir deshalb solch subtile Täuschungen wie bei Zaubertricks in unserer Umwelt nicht, und das Gehirn ist nicht darauf eingestellt. Diese Studie provoziert aber eine Illusion wie ein Bühnenzauberer. In unserem Gehirn „blinken“ dann natürlich die im Laufe seiner Entwicklung hierfür präformierten Bereiche, weil sie damit zu tun haben, aber nicht, weil sie etwas produzieren. Viel interessanter wäre eigentlich eine Aussage darüber gewesen, wie lange die Probanden gebraucht haben, das Ganze zu durchschauen und sich dann die Hirnaktivitäten wieder entsprechend änderten.


Nach wie vor gibt es keinerlei Beweise dafür, dass Nahtoderfahrungen das Produkt unseres Gehirns sind. Für einzelne Passagen einer komplexen NTE sind physiologische Erklärungen durchaus möglich. Sie sollten auch eine Rolle spielen, genauso wie Tonfolgen oder Frequenzmuster, Takte und Akkorde die physikalische
Basis einer Sinfonie sind. Das Kunstwerk „Sinfonie“ und die mit ihr untrennbar verbundenen Eindrücke lassen sich damit aber genauso wenig beschreiben wie die Tiefe und Qualität der einzelnen Elemente einer NTE, geschweige denn ihre weltweit stets ähnlichen Muster, ihre Komplexität und die mit ihr verbundenen spirituellen Inhalte und späteren Auswirkungen auf das Leben der durch sie Beschenkten.


Nahtoderfahrungen scheinen genauso eine Schnittstelle zu sein wie das Gehirn wohl eine ist. NTE sind dann eine Schnittstelle zwischen einer Welt, die wir als materiell wahrnehmen, weil unsere Sinne so funktionieren, sowie einer Welt, die hinter allem steht und in allem ist, und die wir „Informationswelt“ oder „Geistebene“ nennen können, wobei „Geist“ genauso wie „Bewusstsein“ nur einen Teilaspekt des großen Ganzen darstellen. „Informationswelt“ mag für viele zwar vielleicht zu nüchtern klingen, ist aber sicher umfassender.


Die Nahtoderfahrung wird zu einer Schnittstelle zwischen den Mysterien Leben und Tod. Da Leben aber kein materielles Substrat zu sein scheint, sondern vielmehr selbst ein Teilaspekt des „Informationellen“ ist, quasi im Sinne einer „das Geistige“ oder – wieder umfassender – „informationelle Cluster“ bewegenden Kraft“, kann Leben niemals durch den Tod zerstört werden.


www.vanLaack-Buch.de

 

 

Literaturhinweise:


1) Blanke, O. et al. (2002), „Stimulating illusory own-body perceptions.” Nature 419, 269-270
2) Quelle: Near-Death-Experience-Research-Foundation (nderf)-Studie, USA, 2004-2008, n=617 Fälle.
3) Chawla, L. et al., (2009) „Surges of Electroen-cephalogram Activity at the Time of Death: A Case Series“, J. Palliative Med. 12(12), doi:10.1089/jpm. 2009.0159
4) Borjigin, J. et al., „Surge of neurophysiological coherence and connectivity in the dying brain”, doi: PNAS 10 (2013), doi:10.1073/pnas.1316024110
5) van Laack, W., „Unser Schlüssel zur Ewigkeit“ (Roman, 2015); „Wer stirbt, ist nicht tot!“ (Sachbuch, 2011), „Mit Logik die Welt begreifen“ (Sachbuch 2005), u.vm., siehe www.vanLaack-Buch.de
6) Guterstam, A. et al. (2015), “Posterior Cingulate Cortex Integrates the Senses of Self-Location and Body Ownership”, Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2015.03.059